Von Willi Berg
Heiligkreuzsteinach/Heidelberg. Über Jahre hinweg hatte sich ein Mann an seinem Stiefsohn vergangen. Das Heidelberger Landgericht verurteilte den Täter am Montag zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft. Zudem muss er 10.000 Euro Schmerzensgeld an das inzwischen 25-jährige Opfer zahlen. Die Jugendschutzkammer befand den 54-jährigen Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs in 320 Fällen für schuldig.
“Sie haben das kindliche Vertrauen grob missbraucht”, sagte die Vorsitzende Richterin Daniela Kölsch. Der Junge habe damals “Abscheu und Ekel” verspürt.
Der Computerspezialist bestritt das Verbrechen, seine Verteidiger forderten Freispruch. Eine Anwältin des Angeklagten hatte dem Stiefsohn 100.000 Euro angeboten, wenn er vor Gericht die Aussage verweigert. Der sichtlich aufgewühlte junge Mann findet das Urteil zu milde. Er hätte sich gewünscht, sein Peiniger wäre zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert. Das Schmerzensgeld will er spenden.
Er hatte den Stiefvater erst zehn Jahre nach der letzten Tat angezeigt. Die Übergriffe begannen 1994 in Kalifornien, wo die Familie zeitweilig lebte. Damals war der Bub erst acht Jahre alt. Zunächst sollte er seinem Stiefvater für einen Dollar den Rücken massieren. Doch dabei blieb es nicht: Später forderte er den Jungen auf, ihn sexuell zu befriedigen. Das introvertierte Kind sei dem “widerspruchslos gefolgt”, sagte Richterin Kölsch.
Auch nachdem die Familie Ende 1995 aus den USA in die Odenwaldgemeinde Heiligkreuzsteinach gezogen war, verging sich der Mann immer wieder an dem Kind. Seine Gattin merkte offenbar nichts davon, da sie tagsüber arbeitete. Im Jahr 2000 weigerte sich der damals 13-jährige Sohn, mit Mutter und Stiefvater wieder in die Vereinigten Staaten zu ziehen. Darauf verging sich der Angeklagte ein letztes Mal an dem Jungen.
Insgesamt habe er das Kind 320 Mal missbraucht. Davon zeigte sich die Jugendschutzkammer nach 14 Verhandlungstagen überzeugt. Das Opfer habe vor Gericht “echt Erlebtes geschildert”, sagte die Vorsitzende. Über viele Jahre habe der junge Mann die Erlebnisse verdrängt, aber nicht vergessen können. Zunächst vertraute er sich einer Freundin und dann dem leiblichen Vater an, bevor er schließlich Anzeige erstattete.
In seinem Schlusswort beteuerte der Angeklagte nochmals seine Unschuld. Zum Beweis führte er an, dass er damals zeitweilig intime Beziehungen zu zwei Frauen hatte: Wochentags eine “leidenschaftliche Affäre” mit einer Schweizerin und am Wochenende mit seiner Gattin. “Um dann danach, ein Kind zu missbrachen?”, fragte der 54-Jährige. Und: “Dann hätte ich das Stehvermögen eines Supermanns.” Ein Gutachter attestierte dem Mann allerdings eine “pädophile Nebenströmung”.
Der Angeklagte griff in seinem Schlusswort die deutsche Justiz scharf an: “Sind wir zu den Tagen der Nazis, der Stasi und der Inquisition zurückgekehrt?” Die deutsche Staatsanwaltschaft habe die kanadischen Behörden “in die Irre geführt” und die Auslieferungspapiere “verfälscht”.
Der Mann lebte zuletzt in Kanada mit seiner neuen Familie und war an Deutschland ausgeliefert worden. Eine Rückkehr nach Kanada ist durch das Urteil ausgeschlossen. “Sie haben alles verloren, was ihnen wichtig ist”, sagte die Vorsitzende Richterin.
Die beiden Verteidiger sind von der Unschuld ihres Mandanten überzeugt. Es gebe “einfach keinen Beweis”, sagte Anwalt Klaus-Michael Bott. Der Sohn habe sich in “viele Widersprüche” verwickelt und 45 Mal gelogen. Dessen Motiv sei von “Rache und Habgier” bestimmt, so die Verteidigung. Er habe den Stiefvater nicht akzeptieren können und habe diesen “tief gehasst”.