BERLIN – So schnell ist das Kino selten: Am 8. März soll in Frankreich das Urteil gesprochen werden im Prozess gegen Philippe Barbarin, den Erzbischof von Lyon, und sechs seiner Mitarbeiter. Kardinal Barbarin ist angeklagt, weil er vom dutzendfachen sexuellen Missbrauch des Paters Bernard Preynat gewusst haben soll, aber die Polizei nicht informierte.
Der Film zum Skandal ist schon da: In zehn Tagen soll „Grace à Dieu“ (Gelobt sei Gott) in Frankreich anlaufen. Nur eine einstweilige Verfügung kann ihn stoppen. Auf der Berlinale war Francois Ozons neues Werk aber bereits am Freitag im Wettbewerb zu sehen, und der Regisseur ist sich sicher, dass kein Richter den Film aufhalten wird: „Ich habe mich gar nicht auf die juristische Seite eingelassen, der Film ist rein menschlich. Und in Frankreich weiß man ohnehin, was passiert ist, es ist ja alles publiziert“, sagt der Regisseur bei der Pressekonferenz in Berlin. Wohl auch weil die Geschichte so brisant ist, hat Ozon auf den spekulativen Blick auf die Verbrechen verzichtet. Nur angedeutet, sieht man katholische Pfadfinder mit dem Pfarrer, der immer wieder Jungs angeblich zum Gebet abführt. Bis in die Neunziger ging das so.
Nein, „Grace à Dieu“ ist nicht auf Enthüllung von Sensationen aus, der Film zeigt vielmehr das System der Vertuschung. „Pädophilie ist eine Geißel. Da gibt es eine große Omertá“, sagt Ozon mit Anspielung auf den Schweigekodex der Mafia. Die Kirche mauert, der Pfarrer räumt zwar seine Taten ein, darf aber weiter mit Kindern arbeiten, und die Opfer leben zwanzig Jahre still mit ihrer Scham.
Ozon (51), der als großer Frauenversteher gilt und dessen Komödie „Acht Frauen“ 2002 einen Silbernen Bären fürs Ensemble erhielt, setzt diesmal auf „Männer, die ihre Emotionen im Kino ausdrücken.“ Spröder als in früheren Werken lässt er drei ehemalige Pfadfinder zu Wort kommen. Alexandre (Melvil Poupaud), ein katholischer Bourgeois mit fünf Kindern, beginnt 2014 bei der Kirche nachzufragen. Doch Barbarin und seine Öffentlichkeitsarbeiter wiegeln ab. Der Kardinal (Francois Marthouret) empfiehlt Gebet und Vergebung, sorgt sich vor allem ums Heil seiner Institution. Vor Gericht rutscht dem Scheinheiligen raus, „Gott sei Dank“ sei ja alles verjährt. Pater Bernard (Bernard Verley) wiederum windet sich im Selbstmitleid des kranken Opfers und stimmt das Vaterunser an.
Das Staffelholz der Erzählung geht dann an den zornig polternden Atheisten Francois (Denis Ménochet) über, schließlich an den innerlich zerrissen und gescheiterten Emmanuel (Swann Arlaud). Um sie herum formieren sich weitere Opfer zu Selbsthilfe und Anklage.
“Das Thema ist die Befreiung des Worts und was das für Auswirkungen hat”, sagt Ozon. Schließlich heißt die Opfer-Intitiative ja auch „Parole liberée“ (Das befreite Wort). Nach dem langen Schweigen müssen sie denn auch ganz viel reden, was den Film in Teilen zum protokollarischen Konversationsstück macht. Vor allem am Anfang wird viel aus Mails, Akten und Briefen gelesen. Erst mit Francois kommt Wut ins Spiel, mit Emmanuel die Verzweiflung. Die Empörung über das Vertuschungskartell der Kirche ergibt sich von selbst. Doch bleibt der Film bei einem Thema, das den Zuschauer auch packen und schütteln könnte, stets verhalten. So schnell Ozon war, so vorsichtig war er auch. In der Geschichte mag mehr stecken. Der Preis der Aktualität ist eine noble Zurückhaltung vor dem Leiden der Opfer.