KINDESMISSBRAUCH

Betäubung und Missbrauch von Buben

Im Sommer 2014 sah ein inzwischen erwachsener Mann zufälligerweise den Täter wieder, der ihn zwischen 2001 und 2003 im Kindesalter missbraucht hatte. Im Auto des Pädophilen sass wieder ein Bub. Mit einer Anzeige habe er verhindern wollen, dass noch weitere Kinder hätten erleben müssen, was er damals erlebt habe, gab der Mann zu Protokoll.

Die Anzeige gegen den heute 51-jährigen gelernten Schriftsetzer, Ex-Bankangestellten, Geschäftsführer eines Sicherheitsdienstes und Leiter bei der Jugendorganisation Cevi erfolgte am 30. Juni 2014. Bis er im Januar 2015 verhaftet wurde, vergingen allerdings nochmals sieben Monate, in welchen er mindestens einen Knaben weiter missbrauchte. Diese Verzögerung wurde selbst von Verteidiger Roland Egli am Dienstag vor dem Bezirksgericht Dietikon scharf kritisiert.

Missbräuche gefilmt

Dem nicht vorbestraften Beschuldigten, der im Bezirk Affoltern wohnhaft war, wird vorgeworfen, zwischen 1994 und 2014 mindestens zehn Buben regelmässig sexuell missbraucht zu haben. Neun Opfer gibt er zu. Laut der 42-seitigen ursprünglichen Anklageschrift waren acht Buben zum Zeitpunkt der sexuellen Übergriffe zwischen 8 und 15 Jahre alt. Aufgrund von Medienberichten im Vorfeld des Prozesses meldeten sich zwei weitere Opfer, eines davon war zum Tatzeitpunkt erst 6 Jahre alt. Die Staatsanwältin reichte deshalb eine Zusatzanklage ein. Der Mann erschlich sich das Vertrauen der Eltern der Kinder, so dass die Knaben regelmässig bei ihm übernachten durften. Dort schauten sie zusammen Pornofilme, tranken Alkohol, rauchten Joints, und er verging sich an den Minderjährigen – oft während sie schliefen –, was er filmte. Er soll ihnen Schlafmittel in Süssgetränke gemischt haben, so dass sie nicht vorzeitig aufwachten. Bei der Hausdurchsuchung wurden grosse Datenmengen mit kinderpornografischem Material gefunden.

Die meisten Übergriffe geschahen in der Wohnung des Beschuldigten, angeklagt sind aber auch Vorfälle im Ausland. Laut Anklage soll ein Missbrauch in einem Pfadilager stattgefunden haben. An der Verhandlung wurde dies jedoch als Fehler aufgeklärt: Der Übergriff geschah in einem Cevi-Lager, bei dem der Beschuldigte als Lagerleiter tätig war. Der 51-Jährige zeigte sich vor Gericht grösstenteils geständig. Er bestritt allerdings, dass er die Knaben betäubt habe. Sie hätten nur tief geschlafen. Zudem stellte er den sexuellen Missbrauch eines der Geschädigten komplett in Abrede und erklärte, Vorwürfe, wonach er ein weiteres Opfer beim Missbrauch fixiert haben soll, seien falsch. Er sei nie gewalttätig gegen die Kinder gewesen. Für seine Taten habe er keine Erklärung. Was er gemacht habe, sei aber «unter aller Sau». Er habe gewusst, dass es falsch war, habe seine Gelüste aber nicht überwinden können und sich geschämt, professionelle Hilfe zu suchen. Pädophil zu sein, sei für ihn ein «No-Go» gewesen. «Es war eine Scham, mir einzugestehen, dass ich so bin.» Er sei aber willig, eine ambulante Therapie zu absolvieren, wie es im Gerichtsgutachten empfohlen wird. Laut dem Gutachten war der Mann bei allen Taten voll schuldfähig.

Staatsanwältin Simone Altenburger beantragte eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren wegen mehrfacher sexueller Nötigung, mehrfacher Schändung, mehrfacher sexueller Handlungen mit einem Kind, mehrfacher Pornografie und weiterer Delikte. Die Filmaufnahmen, die zum Teil bis zu 22 Minuten dauern, zeigten klar, dass die Kinder sediert worden seien. Kein einziger Knabe sei erwacht, obwohl der Beschuldigte minutenlang an ihren Hoden und Penissen manipuliert habe. Der 51-Jährige habe während Jahren von seinem Hausarzt das rezeptpflichtige Medikament Dormicum bezogen. Sein Verschulden wiege schwer, er habe sich Kinder ausgesucht, die scheu, ängstlich und introvertiert gewesen seien, und diese mit Videospielen angelockt. Oft hätten die Eltern Probleme gehabt und seien froh gewesen, dass sich jemand um die Kinder gekümmert habe. Er habe es mit seiner fürsorglichen Art ausgezeichnet verstanden, die Eltern und Kinder zu verführen und zu manipulieren. Dabei sei es ihm aber immer nur um seine sexuelle Befriedigung gegangen.

«Ihr wart wie meine Kinder»

Verteidiger Roland Egli plädierte auf eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 3 Jahren. Er machte unter anderem zahlreiche angeblich bereits eingetretene Verjährungen geltend. Die Betäubung der Opfer stellte er als eine unbewiesene Vermutung dar. Den Strafantrag der Staatsanwältin bezeichnete er als «viel zu hoch». Es seien weit abscheulichere Taten denkbar. «Es ist nicht so ein aussergewöhnlicher Fall.» Sein Mandant habe keine Gewalt angewendet. Ihm sei nicht bewusst gewesen, was er seinen Opfern langfristig angetan habe. Von den Opfern wurden Genugtuungssummen von zwischen 5000 und 25 000 Franken geltend gemacht. Die Verteidigung akzeptierte nur Teilbeträge davon.

Bei seinem Schlusswort, das der Beschuldigte von einem Papier ablas, geriet er mehrfach ins Stocken und brach in Tränen aus. Bei zwei Opfern bedankte er sich dafür, dass sie den Mut zur Anzeige bei der Polizei gefunden hätten. Damit hätten sie weitere Taten verhindert. Er entschuldigte sich. Er bereue jeden Tag, an dem er sich nicht im Griff gehabt habe und Freundschaften durch seine «niederen Gelüste» zerstört worden seien. Er sei selber entsetzt gewesen, als er gemerkt habe, dass er genau in das Schema von Pädophilen passe. Die Eltern der Opfer dürften sich keine Vorwürfe darüber machen, dass sie ihn nicht durchschaut hätten. Er habe sich selber nicht durchschaut. Zu den Opfern sagte er zum Schluss: «Ihr wart wie meine eigenen Kinder, und ich hätte alles für euch getan.» Er hoffe, dass er ihnen keinen Schaden zugefügt habe, wünsche ihnen ein glückliches Leben und Gottes Segen. Das Urteil wird am 19. Mai eröffnet.

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