Der Frauen-Cheftrainer des Regionalen Leistungszentrums Ostschweiz (RLZO) in Wil sitzt in Untersuchungshaft. «Ich habe meinen Trainer angezeigt, weil er mich sexuell missbraucht hat», zitiert das «St. Galler Tagblatt» eine 17-jährige Kunstturnerin. Für den Trainer gilt die Unschuldsvermutung.
Sexueller Missbrauch passiert überall, doch der Nachwuchssport gehört zu den besonders anfälligen Milieus. In den USA kamen in den letzten Jahren allein aus dem Frauenkunstturnen Hunderte von Fällen ans Licht. Der langjährige Nationalteam-Arzt Larry Nassar wurde Anfang 2018 zu maximal 300 Jahren Haft verurteilt. Und der langjährige Präsident und CEO des amerikanischen Turnverbandes wurde im vergangenen Oktober angeklagt, weil er Beweismaterial zerstört oder zurückgehalten haben soll.
Zu 175 Jahren Haft verurteilt: Wie Dr. Larry Nassar Kinderseelen zerstörte
Claudia Rey 24.01.2018
Im Fall Wil gibt es nach derzeitigem Wissensstand einen mutmasslichen Täter und ein mutmassliches Opfer. Keine Organisation, keine Struktur, keine Führung kann solche Fälle verhindern. Mit dem RLZ Ostschweiz ist aber ein Leistungssportzentrum für Kinder und Jugendliche betroffen, das seit Monaten in einer Führungskrise steckt. Die Liste der Probleme ist lang: Eltern, die sich gegen den Vorstand auflehnen, insbesondere gegen den Präsidenten; eine Geschäftsführerin, die zwischen die Fronten gerät und entlassen wird; eine Stiftungsratspräsidentin, die öffentlich personelle Änderungen im Vorstand fordert; ein Trainingszentrum auf nächsttieferer Förderstufe, das so heillos zerstritten ist mit dem RLZO, dass es keine Talente mehr weitergibt; ein zweites solches Trainingszentrum, das jetzt lieber sein eigenes Süppchen kocht.
Weil Erwachsene auf dem Buckel Heranwachsender Konflikte eskalieren liessen, stand das RLZ Ostschweiz schon vor der Anzeige gegen den Trainer vor einer ungewissen Zukunft. Nun steht es vor einem Scherbenhaufen. Zwischen dem Fall und der Führungskrise muss kein kausaler Zusammenhang bestehen. Doch der Fall erschwert den Neuanfang massiv. Der Präsident wird sich Mitte September zurückziehen, das hat er schon länger angekündigt. Die Reizfigur ist also so gut wie weg. Doch was nützt das, wenn sich kein Nachfolger finden lässt? Seit Monaten sucht eine Arbeitsgruppe neues Führungspersonal, aber ein neuer Präsident ist nicht in Sicht.
Solche Schwierigkeiten sind systemisch. Die neun regionalen Leistungszentren (RLZ) des Schweizerischen Turnverbandes (STV) stehen für die Professionalisierung der Nachwuchsförderung im hiesigen Kunstturnen. Doch Profis im Sinn von Lohnempfängern sind nur die Haupttrainer und – mit Abstrichen – die Geschäftsführer. In den Vorständen dominiert die Ehrenamtlichkeit. Doch die Gratisarbeiter sind immer schwieriger zu finden. Und für andere Modelle ist das Geld zu knapp.
Zum Verwunderlichen am Schlamassel in Wil gehört auch die Rolle des STV. Der nationale Verband ist zwar nicht Träger der regionalen Leistungszentren, aber Vertragspartner und Beitragszahler. Je mehr Turnerinnen und Turner eines RLZ in die STV-Kader aufsteigen, desto mehr Subventionen erhält dieses RLZ. Der STV wies für das Jahr 2018 gut 15 Millionen Franken Umsatz und gut 7 Millionen Franken Personalaufwand aus. Doch die Konfliktlösung in Wil überlässt er dem St. Galler Kantonalturnverband, auf dessen Lohnliste nur eine zu 70 Prozent angestellte Sekretärin steht.
Der STV-Geschäftsführer Ruedi Hediger und der STV-Spitzensportchef Felix Stingelin wollen sich nicht zur Führungskrise in Wil äussern. Es spricht der Medienchef: «Der Geschäftsführer und der Spitzensportchef haben mit den Beteiligten immer wieder Gespräche geführt und ihnen klargemacht, dass sich die Parteien zusammenraufen und gemeinsam Lösungen entwickeln sollen.»
Der STV sieht sich nicht als Partei.
Weiter sagt der Medienchef: «Interne Querelen sind gemäss unseren Verträgen kein Grund für Kürzungen von Geldern oder für eine Vertragskündigung.» Und schliesslich noch: «Nach einem guten halben Jahr schon ein Fazit zu ziehen und von einem Scheitern der Bemühungen zu reden, ist aus unserer Sicht verfrüht.»
Der STV macht es sich sehr einfach.
Verdacht auf Sexualdelikt – Kunstturntrainer des Trainingszentrums Wil festgenommen
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