Anzeige Johannes-Wilhelm Rörig ist Beauftragter der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Er kennt die schrecklichsten Verbrechen. Der jüngste Fall berührt ihn besonders. DIE WELT: Herr Rörig, erschüttert schaut das Land nach Freiburg. Eine Mutter und ihr Lebensgefährte verkaufen den neunjährigen Sohn für Vergewaltigungen. Wie schätzen Sie diesen Fall ein? Johannes-Wilhelm Rörig: Es ist wirklich grenzenlose Brutalität, mit der wir es hier zu tun haben. Ein kälteres Herz als das dieser Mutter kann man sich kaum vorstellen. Es gab zwar schon immer Fälle, bei denen Mütter ihre Kinder im Umfeld für Missbrauch zur Verfügung gestellt haben. Außergewöhnlich ist hier aber, dass das Kind auch über das Darknet angeboten wurde, auch für längere Zeiträume oder ein ganzes Wochenende, und dass sich mindestens einer der Kunden sogar mit Tötungsfantasien trug. Lesen Sie auch Missbrauch in Freiburg Es geschah an einem Ort, wo jeder jeden kannte Anzeige DIE WELT: Spricht man in einem solchen Fall von organisierter Kriminalität? Rörig: Eindeutig, ja. Die Aufarbeitungskommission hat schon eine ganze Reihe Opfer von organisierter Kriminalität angehört, und das sind genau die Verhaltensweisen, über die berichtet wird. Gerade wenn die Täter schon in einem jungen Alter Zugriff auf ihre Opfer haben, gelingt es ihnen oft, die Kinder regelrecht für den Missbrauch abzurichten. Die Opfer scheinen dann dem äußeren Anschein nach geradezu freiwillig in diese Qualen hineinzugehen. Sie sind quasi dressiert für den Missbrauch. Ihre einzige Überlebenschance ist es dann, die sexuelle Gewalt total von sich abzuspalten und sich scheinbar unauffällig nach außen zu verhalten. Psychologen sprechen hier von einer dissoziativen Identitätsstörung. Anzeige DIE WELT: Könnte das ein Grund sein, warum im Umfeld des Freiburger Opfers angeblich niemand etwas gemerkt hat? Rörig: Man will sich gar nicht vorstellen, dass niemand etwas gemerkt hat, dass dieses Kind wirklich keine Signale gesendet haben soll. Gewisse Hinweise gab es ja offenbar schon, beispielsweise wurde in der Nachbarschaft das immer verdunkelte Haus wahrgenommen. Aber das ist das Schlimme an unserem Thema. Wenn einer Autos frisiert oder Drohnen durch die Gegend fliegen lässt, wird das als eigene Bedrohung wahrgenommen, dann reagieren alle. Aber wenn Kindesmissbrauch im Raum steht, dann heißt es oft: Damit will ich lieber nichts zu tun haben, ich will ja auch niemanden falsch verdächtigen. Aus Unsicherheit wird dann weggeschaut. Das ist das alte Problem. Hier brauchen wir einen Umschwung. Den haben wir noch nicht erreicht – auch acht Jahre nach dem großen Missbrauchsskandal noch nicht. Lesen Sie auch Missbrauchte Männer „Es muss dir doch gefallen haben, du hattest eine Erektion“ Anzeige DIE WELT: Sie haben jetzt erneut ein Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz gefordert. Tut Deutschland zu wenig? Rörig: Auf jeden Fall. Deutschland tut zu wenig und Politik flüchtet sich häufig in Minimallösungen, die auch noch schlecht finanziert und befristet sind. Wir gehen an dieses immense gesamtgesellschaftliche Problem nicht konsequent genug heran. Deshalb brauchen wir stabile, gesetzlich fundierte Strukturen und vor allem eine gesetzlich vorgesehene Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden aus dem Jugend-, Gesundheits- und Justizbereich. Derzeit murkelt jeder vor sich hin und bekommt nicht mit, was die anderen in ihren Bereichen machen. Hinzu kommt, dass gerade die Jugendämter, die unter schwierigsten Bedingungen arbeiten, oft unter einer prekären Personalsituation leiden. Ich möchte in der Koalitionsvereinbarung den klaren Satz finden: „Wir werden Kindesmissbrauch konsequent und systematisch bekämpfen, ein Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz verabschieden und ausreichende Mittel für den Kampf gegen Missbrauch bereitstellen.“
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