KINDESMISSBRAUCH

Dylan Farrow beschuldigt Woody Allen erneut des sexuellen Missbrauchs

Der Fall ist alt, doch die Wunde scheint frisch zu sein wie am ersten Tag. In einem offenen Brief in der «New York Times» hat Dylan Farrow ihren Stiefvater Woody Allen des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. Der Verdacht, Allen habe die damals Siebenjährige auf dem Dachboden vergewaltigt, war schon 1992 Gegenstand eines aufsehenerregenden Sorgerechtsprozesses zwischen Allen und der Schauspielerin Mia Farrow gewesen; ein Ärzteteam kam seinerzeit zu dem Schluss, dass der Vorwurf nicht aufrechtzuerhalten sei. Der Fall wurde zu den Akten gelegt, doch nicht ohne den Vermerk «probable cause» eines Richters, der das emotional höchst fragile Mädchen vor weiteren Gerichtsverhandlungen schützen wollte. Dieser Stempel verschwand offenbar aus den Akten, nicht aber aus den Köpfen; im letzten Oktober wurde der alte Verdacht in der Zeitschrift «Vanity Fair» wieder aufgefrischt. Und auch als Allen im Januar der Golden Globe für sein Lebenswerk zuerkannt wurde, flammten die bösen Vorwürfe wieder auf.

Mit Herzblut geschrieben

Es sei ihm wichtig, anzumerken, dass Woody Allen niemals verurteilt worden sei und daher die Unschuldsvermutung gelte, schreibt Nicholas D. Kristof , in dessen Kolumne der detaillierte und offenbar mit Herzblut geschriebene Brief erschien. Kristof, ein respektabler und unermüdlicher Kämpfer gegen den Missbrauch von Frauen und Mädchen in der Dritten Welt, schliesst freilich die Frage an, ob die Ehrung für ein Lebenswerk nicht auch einen ehrenhaften Ruf zur Voraussetzung haben sollte. Der Kolumnist lässt dabei nicht unerwähnt, dass er ein enger Freund Mia Farrows ist, die von dem Verdacht der Manipulation nicht ganz freizusprechen ist: Farrow hat bei der Beweisführung gegen Allen seinerzeit offenbar stark auf die Adoptivtochter eingewirkt. Als Diane Keaton stellvertretend für Allen vor drei Wochen den Golden Globe entgegennahm, erneuerten Farrow und deren Sohn Ronan auf Twitter die alten Vorwürfe. Ronan Farrow hatte zuvor, gleichfalls auf Twitter, einen besonders unappetitlichen Aspekt des Scheidungsprozesses ins Gedächtnis gerufen: Woody Allen hatte damals eine sexuelle Beziehung zu Mia Farrows neunzehnjähriger Adoptivtochter Soon-Yi, mit der er inzwischen verheiratet ist.

Woody Allen hat seine Vorliebe für zu junge Mädchen in etlichen Filmen ins Bild gesetzt; justiziabel ist ein solches Vorgehen nicht. Für das, was im wirklichen Leben geschah, steht Aussage gegen Aussage. Bleibt das heikle Problem, ob und unter welchen Bedingungen ein Lebenswerk durch einen moralischen oder weltanschaulichen Makel kompromittiert werden kann. Es ist eine alte Frage, die Philosophen oder Schriftsteller ebenso trifft wie beispielsweise die Regisseure Roman Polanski oder Klaus Kinski , dessen Tochter Pola gerade ein Buch veröffentlicht hat, in dem sie die jahrelangen sexuellen Übergriffe durch ihren Vater anklagt. Allen, der seine «überwältigende Traurigkeit» über den offenen Brief seiner Adoptivtochter bisher nur durch seine Anwälte publik machen liess, bläst derzeit jedenfalls in den Leserspalten ein scharfer Wind ins Gesicht; die grosse Solidarität mit Dylan Farrow speist sich wohl nicht zuletzt aus dem Umstand, dass manche Leserinnen auf ähnliche Erfahrungen zurückblicken müssen.

Fragwürdige Rolle

Dass seine nach eigener Darstellung stark traumatisierte Adoptivtochter glaubt, was sie sagt, daran hat auch Woody Allen keinen Zweifel verlauten lassen; der Brief klingt in seiner detaillierten und nahegehenden Schilderung sehr authentisch. Allens Anwälte beschuldigen allerdings Mia Farrow, dem verstörten Kind diesen Glauben seinerzeit eingeredet zu haben. Deren fragwürdige Rolle hat der Regisseur Robert B. Weide, der einen zweiteiligen Dokumentarfilm über Allen gedreht hat, in einem ebenso informativen wie parteiischen Artikel in «The Daily Beast» herausgearbeitet – wobei die Glaubwürdigkeit des Textes durch einige ressentimentgeladene Anspielungen etwas eingeschränkt wird.

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des offenen Briefes hat einen arg strategischen Beigeschmack: Allens letzter Film «Blue Jasmine» ist derzeit für drei Oscars nominiert. Ihre Qual sei durch die Kränze, die Hollywood ihrem Peiniger wand, massiv verschärft worden, schreibt Dylan Farrow und greift auch Allens Hauptdarsteller frontal an: «Was, wenn es Dein Kind gewesen wäre, Cate Blanchett? Alec Baldwin? Was, wenn Du es gewesen wärst, Emma Stone? Oder Du, Scarlett Johansson?» Ob die Mitglieder der Academy moralische Erwägungen in ihre Wahl einfliessen lassen und womöglich auch die nominierten Schauspieler abstrafen, wird sich weisen. Im Jahr 2003 hat sich die Jury über solche Bedenken jedenfalls locker hinweggesetzt. Roman Polanski, der damals schon über 25 Jahre wegen Vergewaltigung einer 13-Jährigen angeklagt war, bekam für den Film «Der Pianist» drei Oscars kredenzt. Mia Farrow war damals eine seiner glühendsten Advokatinnen.

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