Anzeige Christian L. ist ein hochgewachsener Mann, aber an diesem Montag sitzt er regungslos und in gebückter Haltung auf der Anklagebank des Saales IV im Freiburger Landgericht. Er hat sich einen grauen Pullover über seinen Körper geworfen und wirkt wie ein zu groß geratenes Kind, das ein Gespenst spielt. Die Kameras klicken, es ist kurz vor 9 Uhr, gleich beginnt die Hauptverhandlung. Sein Gesicht ist erst zu sehen, als die Fotografen den Saal verlassen haben und der Prozess beginnt. Christian L., 42, hat mittellange blonde Haare, die er ab und zu zurückstreicht, seine Wangen sind gerötet, er trägt einen Dreitagebart und blickt nach unten. Seit einem Jahr sitzt er in Untersuchungshaft. Im Saal strahlt er aus, dass er von diesem Leben nichts mehr erwartet. Die Taten hat er in den Vernehmungen weitgehend gestanden. Jetzt folgt die gerichtliche Aufarbeitung. Dann trägt die Erste Staatsanwältin Nikola Novak die Anklage vor. Insgesamt 330 Mal soll sich Christian L. an vier Jungen im Alter zwischen acht und 14 Jahren vergriffen haben. Er hat sie als Pfadfindergruppenleiter kennengelernt, beim Zelten oder beim Musizieren. Er hat sie umgarnt, baute eine „starke Nähebeziehung auf, die er für sexuelle Übergriffe ausnutzte“. Von 2010 bis 2017 ging das so, ob es vorher noch andere Fälle gab, ist unklar. Christian L. war bereits seit 1999 bei der Pfadfindergruppe der evangelischen Kirchengemeinde in Staufen bei Freiburg beschäftigt. Dort habe er zwei „Geschädigte“ gefunden, wie es in der Anklage heißt. Exklusiv für Abonnenten Kindesmissbrauch in 696 Fällen Warum ein pädophiler Pfadfinderleiter immer weitermachen konnte Anzeige Dabei ging Christian L. gezielt vor. Er gaukelte den Jungen vor, dass der intime Kontakt natürlich sei und dazugehöre, so Novak. Er manipulierte die Kinder, sodass sie meinten, die Taten selbst gewollt und gefördert zu haben. Wehrten sie seine Annäherungsversuche ab, konnte der „Übervater“ ärgerlich und verletzend reagieren. Schließlich schämten sich die vier Jungen so sehr, dass sie sich niemandem offenbaren wollten. Sie versuchten, die Erlebnisse zu verdrängen. Einer von ihnen ist so schwer traumatisiert, dass er nicht verhandlungsfähig ist. Christian L. (r.) trägt Fußschellen Quelle: dpa Anzeige Die Hauptverhandlung soll nun klären, wie es dazu kam, dass dieser laut Anklage „bewunderte Übervater für Kinder“ seine Schützlinge missbrauchte und quälte. Alles wird nicht öffentlich werden: Der Verteidiger Stephan Althaus erreichte, dass die Vernehmung seines Mandanten, das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen und die Plädoyers unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden. Die Nebenklageanwältin Katja Ravat kündigte an, auch für die Dauer der Vernehmung ihrer Mandanten den Ausschluss der Öffentlichkeit zu beantragen. Cybergrooming – So gefährdet sind Kinder im Netz {“title”:”Cybergrooming – So gefährdet sind Kinder im Netz”,”poster”:”https://www.welt.de/img/politik/deutschland/mobile205112366/2401351907-ci16x9-w1280/dpa-5FA062009A42618A-jpg.jpg”,”sources”:[{“src”:”https://weltsfclips-vh.aka05hd.net/i/2020/01/17/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL_,2000,1500,1000,200,.mp4.csmil/master.m3u8″,”extension”:”m3u8″},{“src”:”https://weltn24sfthumb-a.aka05hd.net/2020/01/17/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL_2000.mp4″,”extension”:”mp4″},{“src”:”https://weltn24sfthumb-a.aka05hd.net/2020/01/17/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL_1500.mp4″,”extension”:”mp4″},{“src”:”https://weltn24sfthumb-a.aka05hd.net/2020/01/17/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL_1000.mp4″,”extension”:”mp4″},{“src”:”https://weltn24sfthumb-a.aka05hd.net/2020/01/17/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL/20200117-163402_onl_MAZ_Cybergrooming_1550_oL_200.mp4″,”extension”:”mp4″}],”isAutoplay”:false,”isMuted”:false,”trackingData”:{“id”:”205111468″,”source”:”WELT / David Schafbuch”,”keywords”:”Internet,Sexueller-Missbrauch-Jugendlicher”,”placement”:”Inline”,”title”:”Cybergrooming – So gefährdet sind Kinder im Netz”,”durationInSeconds”:92,”type”:”video”,”isPremium”:false},”vastUrl”:”https://ib.adnxs.com/ptv?member=7823&inv_code=welt.de-%%VIEWPORT%%-%%SECTION_NAME%%-preroll&kw_vidContentId=205111468&kw_misc=Internet%2CSexueller-Missbrauch-Jugendlicher&kw_vidWeltLocation=Inline&kw_vduration=92″,”suggestionListUrl”:”/onward/video/playlist/section”,”vttThumbnailFileUrl”:”/onward/video/thumbnail/205111468.vtt”,”isPreload”:false} Cybergroomer suchen im Internet gezielt Kontakt zu Minderjährigen, bei Onlinespielen etwa – mit krimineller Absicht. Der Bundestag hat jetzt eine schärfere Verfolgung der Missbrauchstäter beschlossen. Quelle: WELT / David Schafbuch Anzeige Wie belastend die Taten für die jungen Männer sind, ließ die Verlesung der Anklage ahnen. Peter T. (die Namen der Geschädigten wurden anonymisiert), heute 18 Jahre alt, musste Christian L., unter anderem oral befriedigen. Er wollte sich dem Missbrauch entziehen und bei den Pfadfindern aufhören. Doch seine Eltern pochten auf die weitere Teilnahme. So ging er weiter dorthin, und es hörte nicht auf. Erst als vor etwas mehr als zwei Jahren über einen anderen schwerwiegenden Missbrauch in Staufen berichtet wurde, öffnete sich Peter T. und erzählte seinen Eltern alles. Florian V., heute 17, ein Freund von Peter und ebenfalls Pfadfinder aus Staufen, gilt den Ermittlern als bevorzugtes Kind des Täters. Christian L. wurde sogar Patenonkel, bis die Eltern eine Ahnung beschlich und sie den Kontakt zu Christian L. abbrachen. Zwischen dem 1. Juni 2010 und dem 30. Juni 2012 vergriff sich Christian L. an Florian in dessen Wohnung, mindestens zweimal kam es zum Oralverkehr. Florian V. hat seit dem Beginn der Ermittlungen den Schulbesuch abbrechen müssen. Markus W., heute 17, lernte Christian L. bei der Theatergruppe „Stages“ kennen. Er ging eine Beziehung zu seiner Mutter Michaela (Name geändert) ein, zog in die gemeinsame Wohnung – und missbrauchte Markus W. Dutzende Male auf brutalste Art. Erste Anzeige wegen Missbrauchs schon 2004 Sein viertes Opfer, Philipp S., heute zehn Jahre alt, sprach er auf einem Campingplatz an und zwang ihn zum Oralverkehr. Da war Philipp S. acht Jahre alt. Die Rolle der Kirchengemeinde, bei der Christian L. beschäftigt war, wird ausführlich thematisiert werden. Denn die Missbrauchskette hätte wahrscheinlich unterbrochen werden können. Im Jahre 2004 schon hatte ein Junge den Gruppenleiter wegen Missbrauchs angezeigt. Es kam zum Prozess – und das Amtsgericht Staufen verurteilte den heute Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe. Sofort trennten sich die Pfadfinder von ihrem Betreuer. Christian L. ging in Berufung und verlor beim Landgericht Freiburg. Auch gegen diese Entscheidung bemühte er die nächste Instanz – und dort gewann er. Christian L. und sein Anwalt Stephan Althaus, der vor ihm steht Quelle: dpa Das Oberlandesgericht verwies den Fall zurück ans Landgericht, das Christian L. dann 2007 freisprach. Mit dem scheinbar entlastenden Urteil in der Hand fragten ihn die Pfadfinder aus Staufen, ob er wieder bei ihnen arbeiten wollte, sagt Christian L. – dabei liest sich die Urteilsbegründung keineswegs wie ein Freispruch erster Klasse. Der betroffene Junge habe bei seiner Aussage nämlich einen „sehr glaubhaften Eindruck“ hinterlassen, doch dem Gericht blieben Zweifel, weil die Aussageentstehung problematisch war. Anzeige Zu seiner Biografie befragt, gab Christian L. an, dass er seit 1999 examinierter Krankenpfleger sei und zuvor eine Floristenlehre abgebrochen habe, weil diese „sterbenslangweilig“ gewesen sei. Christian L. arbeitete in einer IT-Firma, half bei einem Zirkus mit und war bis zu seiner Festnahme im 02 2019 bei einem Fahrradladen in Staufen beschäftigt. Eigentlich wollte er ein Studium der Religionspädagogik beginnen, weil er sehr religiös sei. Seine Mutter, eine Gymnasiallehrerin, halte nach wie vor zu ihm. Seinen Vater, den seine Mutter in einem Marokko-Urlaub kennengelernt hatte, habe er nie gesehen. Zu seinem Zwillingsbruder habe er einen guten Kontakt. Exklusiv für Abonnenten Missbrauch in katholischer Kirche „Für viele könnte es bald zu spät sein“ Längere Beziehungen habe er nie unterhalten, bis auf die zu Michaela – von dieser nimmt die Staatsanwaltschaft aber an, dass sie nur „vordergründig“ war, um sich an ihrem Sohn Markus vergreifen zu können. Er leide unter chronischen Gelenkschmerzen, sagte Christian L., und lebe in „ständiger Angst“ vor Repressalien anderer Gefangener, sollten die herausbekommen, wegen welcher Taten er einsitze. Hofgang meide er. Der Prozess gegen Christian L., den Pfadfindergruppenleiter, der Kinder manipulierte, missbrauchte und quälte und den seine Familie in Vernehmungen bei der Polizei als „liebevoll und gewaltfrei“ schilderte, wird am Mittwoch fortgesetzt. Im Gefängnis wird der Angeklagte wohl länger ausharren müssen: Die Staatsanwaltschaft sieht die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung als erfüllt an.
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