
Im November 2013 fragte ein damals 15-jähriges Mädchen, das von einem Heim ausgerissen und «auf der Kurve» war, im Zürcher Hauptbahnhof einen 32-jährigen libyschen Autohändler nach Zigaretten. Gesichert ist, dass das Mädchen später in der Wohnung des mehr als doppelt so alten Mannes mit diesem Geschlechtsverkehr hatte.
Das Mädchen erstattete bei der Polizei Anzeige und gab an, dass es missbraucht und ihm zuvor etwas ins Getränk gemischt worden sei. Eine Anklage wegen Schändung und sexueller Handlungen mit Kindern gegen den Libyer endete im Juni 2015 allerdings vor Bezirksgericht in einem Freispruch. Ein Missbrauch konnte nicht bewiesen werden.
Mädchen älter geschätzt
Der Mann, der rund 10 Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte, erhielt eine Genugtuung von 50 000 Franken zugesprochen. Der Staatsanwalt und die Privatklägerin akzeptierten den Freispruch wegen Schändung, der damit rechtskräftig wurde. Sie zogen den Freispruch wegen sexueller Handlungen mit einem Kind aber ans Obergericht weiter.
Im Berufungsprozess erklärte der Libyer, er habe nicht gewusst, dass das Mädchen erst 15 Jahre alt gewesen sei. Es sei stark geschminkt gewesen, und er habe die Frau auf 20 bis 25 Jahre geschätzt. Er habe sie zwar zweimal nach einem Ausweis gefragt, sie habe aber nichts Persönliches preisgeben wollen. Seine Verteidigerin verlangte einen Freispruch.
Der Staatsanwalt erklärte, der Beschuldigte hätte die Pflicht gehabt, sich durch Nachfragen des Alters des Mädchens zu vergewissern. Er forderte eine Freiheitsstrafe von 12 Monaten bei eventualvorsätzlicher und 10 Monaten bei fahrlässiger Begehung des Delikts. Der Geschädigtenvertreter beantragte eine Genugtuung von 7000 bzw. 5000 Franken, je nach Version.
Auf Sex verzichten
Das Gericht sprach den Mann der fahrlässigen sexuellen Handlung mit einem Kind schuldig und bestrafte ihn mit 10 Monaten Freiheitsstrafe bedingt (die er bereits abgesessen hat). Für zwei Hafttage, die über diesen 10 Monaten liegen, wurden ihm gerade noch 400 Franken Genugtuung zugesprochen. Er muss aber auch einen Teil der Gerichtskosten übernehmen. Da das Mädchen zur Tatzeit noch nicht 16 Jahre alt war, war objektiv der Tatbestand erfüllt.
Das Gericht musste nur prüfen, ob auch ein subjektives Verschulden vorlag, und kam zum Schluss, dass es den Aussagen beider Beteiligter keinen Glauben schenke. Es sei auch «purer Blödsinn» vom Beschuldigten, zu behaupten, er habe das Mädchen auf 20 bis 25 Jahre geschätzt. Dieses – es war im Saal anwesend – sehe auch heute noch viel jünger aus. Und in einem solchen Grenzfall habe ein Mann Sorgfaltspflichten. Wenn er Zweifel habe, müsse er auf Sex verzichten. Und aufgrund der damaligen Erscheinung des Mädchens habe der Beschuldigte zwingend Zweifel haben müssen. Das Mädchen erhielt vom Gericht eine Genugtuung von 3000 Franken zugesprochen.
Urteil SB150359 vom 31. 3. 16, noch nicht rechtskräftig.