Anzeige Die Kinder schauen direkt in die Kamera, ihr Blick ist ernst. Sie stellen Fragen: „Darf er das?“ – „Muss ich das?“ – „Bin ich schuld?“ – „Warum macht sie das?“ – „Ich will, dass es aufhört.“ Die Regisseurin Caroline Link hat den Spot gedreht, er wirbt für das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch. Die Kinder, die dort so eindringlich sprechen, sind keine echten Opfer. Und dennoch sei es für ihn schier unerträglich gewesen, ihnen in die Augen zu schauen, sagt Matthias Katsch. „Wir Erwachsenen stehen unter Beobachtung von Kindern, die unsere Hilfe brauchen.“ Cybergrooming – So gefährdet sind Kinder im Netz Cybergroomer suchen im Internet gezielt Kontakt zu Minderjährigen, bei Onlinespielen etwa – mit krimineller Absicht. Der Bundestag hat jetzt eine schärfere Verfolgung der Missbrauchstäter beschlossen.
Quelle: WELT / David Schafbuch Katsch ist einer der ehemaligen Schüler des Canisius-Kollegs, die vor zehn Jahren den Missbrauchsskandal an der Berliner Jesuitenschule aufgedeckt haben. Damals konnten sie noch nicht ahnen, welche Reaktion sie auslösen würden: Immer mehr ehemalige Opfer meldeten sich, Schüler von Ordensschulen, Kinderheimen, Internaten, Sportvereinen. Lesen Sie auch Kindesmissbrauch Der Pater brachte Peitsche und Teppichklopfer mit Anzeige Die Bundesregierung berief einen Runden Tisch ein, schuf das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Plötzlich war das Thema überall. Und Katsch als Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“ einer derjenigen, die den Betroffenen eine Stimme gegeben haben. V. l.: Matthias Katsch, Sprecher des “Eckigen Tischs”, der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig, Regisseurin Caroline Link und Silke Noack, Leiterin des Hilfetelefons Quelle: dpa/Gregor Fischer Anzeige Dennoch zieht er zehn Jahre danach eine gemischte Bilanz. Ja, es sei schon ein großer Erfolg, dass das Thema nicht mehr von der Agenda verschwunden sei, sagt Katsch. Trotzdem werde sexuelle Gewalt gegen Kinder noch immer nicht als zentrale gesellschaftliche Verantwortung begriffen: „Das Bewusstsein für die ,Normalität‘ von sexuellem Kindesmissbrauch ist zwar gestiegen, aber wir sind noch weit davon entfernt, diese Gewaltform zu überwinden.“ Johannes-Wilhelm Rörig, der Beauftragte der Regierung, kommt zu einem ähnlichen Schluss. Er müsse mit Bitterkeit feststellen, dass auch das Engagement der vergangenen zehn Jahre das Leid Tausender Kinder nicht habe verhindern können.
20.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch und Kinderpornografie weist die Polizeiliche Kriminalstatistik jedes Jahr aus, die Dunkelziffer ist hoch. „Ich bin immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird“, sagt Rörig. Anzeige Dabei ist es nicht so, dass er nichts erreicht hätte. Er hat einen Betroffenenrat und eine Aufarbeitungskommission installiert, ein Hilfetelefon und ein Hilfeportal, er hat die Initiativen „Kein Raum für Missbrauch“ und „Schule gegen sexuelle Gewalt“ ins Leben gerufen. Doch all das reiche noch nicht, sagt Rörig. „Die Gesellschaft muss erkennen, dass es sich um ein Megathema handelt, das alle angeht.“ Die Bekämpfung sexuellen Kindesmissbrauchs sei eine „nationale Aufgabe“: „Wir brauchen in Deutschland einen Pakt gegen Missbrauch.
Einen Pakt für ein gemeinsames großes Ziel: maximale Reduzierung der Zahl der Fälle von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen.“ So kann KI beim Kampf gegen Kinderpornografie helfen Im Kampf gegen Kinderpornografie haben IT-Spezialisten des LKA Niedersachsen eine Software entwickelt, die harmlose Dateien von solchen mit strafbarem Inhalt trennen kann. Denn die beschlagnahmten Datenmengen sind meistens riesig. Quelle: WELT/Peter Haentjes Aufsetzen will Rörig einen solchen Pakt beim Nationalen Rat, einem Spitzengremium aus Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Praxis und Betroffenen, das er gemeinsam mit Familienministerin Franziska Giffey (SPD) im Dezember einberufen hat. „Ich erwarte eine deutlichere Haltung der Politik“, fordert Rörig. „Für mich gehören klare Forderungen, Vorgaben und deren finanzielle Untermauerung in jedes Parteiprogramm und in jeden Koalitionsvertrag.“ Kitas, Schulen und Vereine sollten künftig verpflichtet werden, Schutzkonzepte gegen sexuellen Missbrauch umzusetzen.
Fachberatungsstellen müssten auskömmlich finanziert werden. Und auch die Ermittler brauchten schärfere Werkzeuge, etwa im Kampf gegen Kinderpornografie im Internet: „Datenschutz darf nicht über Kinderschutz stehen.“ Begleitet werden müssten all diese Bemühungen mit einer breit angelegten Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagne, ähnlich wie einst bei der Aids-Aufklärung. Lesen Sie auch Missbrauch in katholischer Kirche „Für viele könnte es bald zu spät sein“ Der Werbespot für das Hilfetelefon soll nun den Anfang machen. Er wird kostenlos von TV-Anstalten und Kinos ausgestrahlt, auch Regisseurin Link arbeitete pro bono. „Es bricht mir das Herz, wenn ich höre, dass in jeder Klasse mindestens ein Kind betroffen ist“, sagt sie. „Wenn es uns gelingt, ihnen in dieser beklemmenden Lebenssituation zu helfen, wäre ich sehr froh.
“ Die Deutsche Bischofskonferenz sprach angesichts der Zehn-Jahres-Bilanz und der zahlreichen Fälle innerhalb der katholischen Kirche von einem „tiefen Einschnitt, der uns beschämt und herausfordert“. Man werde auch „weiterhin entschieden“ daran arbeiten, solche Verbrechen zu verhindern. Zudem kündigte die Bischofskonferenz an, dass man es nicht dabei belassen werde, sich nur auf die Täter zu konzentrieren: Es gehe um „die unabhängige Aufarbeitung, bei der auch geklärt wird, wer über die Täter hinaus institutionell Verantwortung für das Missbrauchsgeschehen in der Kirche getragen hat“. Lesen Sie auch Gefahr für Kinder Wie mit Pädophilen umgehen?