LKR ERLANGEN-HÖCHSTADT Kindesmissbrauch Ein Vater fotografiert und filmt seine kleinen Töchter für pornografische Zwecke. Die Mutter spricht über die schwerste Zeit ihres Lebens. Artikel drucken Artikel vorlesen Artikel einbetten Symbolbild: Photographee.eu/fotolia.com Den Jahreswechsel 2016/17 wird Maria L. (alle Namen von der Redaktion geändert) wohl niemals vergessen können. Denn damals kam ans Licht, was ihr Ex-Mann und dessen Bruder ihren Kindern angetan haben. Eine nervenzehrende, quälende Zeit liegt hinter der 41-jährigen Mutter. Sie habe sich an die Zeitung gewandt, nicht um Rache zu üben, nicht um ihren Hass loszuwerden. “Ich will wachrütteln”, sagt Maria L., die zusammen mit ihren Zwillingstöchtern in einer Ortschaft im Landkreis Erlangen-Höchstadt lebt. Sie wolle andere Eltern sensibilisieren. “Man denkt immer, das passiert in Berlin oder Hamburg, aber doch nicht bei uns.” Dass dem nicht so ist, musste Maria L. schmerzhaft erfahren; dass der Vater der gemeinsamen Kinder seine Töchter als Vorlage zur sexuellen Befriedigung missbraucht und einzelne Bilder seinem Bruder schickt, auf dessen Computer die Polizei wiederum weitere Kinderpornos finden wird. Den Großteil der Bilder stellte die Polizei aber beim Vater sicher. Es war12 2016, drei Tage vor Silvester, als ein Anruf ihrer Schwägerin aus Oberbayern sie aus ihrem Leben riss. Dort, beim Bruder ihres Ex-Mannes, waren die beiden vierjährigen Zwillingsmädchen zu Besuch. Ein Anruf, der stutzig machte Ob es denn für sie akzeptabel sei, wenn der Patenonkel sich nackt vor den beiden Mädchen zeige, fragte die Schwägerin, die wohl selbst Verdacht geschöpft hatte. Da hätten bei ihr sofort die Alarmglocken geschrillt, sagt Maria L. “Ich hatte gleich ein komisches Bauchgefühl.” Sie holte ihre Kinder sofort ab, ließ sie ärztlich untersuchen. Sie ging zur Polizei. Diese nahm Ermittlungen auf. Einige Wochen nach dem Anruf der Schwägerin bekam Maria L. einen Anruf der Staatsanwaltschaft. Dann der Schock: Auch ihr Ex-Mann, der Vater der Kinder, sei im Visier. Zwei parallel stattfindende Hausdurchsuchungen bei den beiden Brüdern förderten Bilder und Videos ans Licht. Beim Schwager fand man etliche Kinderpornos. Und auch einige Fotos, die die Kinder von Maria L. in expliziten Posen zeigen. Die Spur führte die Ermittler zu ihrem Ex-Mann. Dort, so Maria L., seien haufenweise Bilder und Videos gefunden worden. Darauf zu sehen: die gemeinsamen Töchter. Nahaufnahmen vom Intimbereich. Mit gespreizten Pobacken. Die Mädchen mussten posieren. Als die Bilder entstanden, waren sie drei, vier und fünf Jahre alt. Es stellte sich heraus, dass der Vater mehrere Videokameras in der Wohnung installiert hatte und mitgefilmt hatte, wenn die Kinder bei ihm gewesen waren. Es sammelten sich 50 Terrabyte, also eine riesige Datenmenge, an. Getrennt hatten sich die beiden nach viereinhalb Jahren Ehe. Da waren die Kinder eineinviertel Jahre alt. Seitdem waren die Töchter alle zwei Wochen für ein Wochenende beim Vater. Maria L. strengt sich an, ruhig zu bleiben. Oft schon hat sie sich mit diesen Fakten der Geschichte beschäftigen müssen. Bei der Polizei. Beim Anwalt. Im Prozess. Der Opferschutzverein Weißer Ring (siehe unten) und die Mobile Sozialbetreuung Mobam in Bamberg unterstützten sie. “Das dunkelste Tal war der Prozess”, sagt Maria L. Hunderte Bilder musste sie sich anschauen. Die Kinder identifizieren, die Orte feststellen, wo die Fotos entstanden sind. In der Wohnung des Ex-Mannes, beim Schwager in Oberbayern, im Urlaub. Sie habe die Bilder schon bei der Polizei gesehen. “Allerdings nur in schwarz-weiß. Im Gericht waren sie in Farbe”, sagt sie und macht eine Gesprächspause. Gab es Hinweise, dass die Bilder im Internet zu Geld gemacht wurden? “Dann gnade ihm Gott”, sagt Maria L. Urteil wegen Kinderpornografie Eine Vergewaltigung der Kinder – “vollzogen”, wie es im kalten Juristendeutsch heißt – sei bei den Ermittlungen nicht festgestellt worden. Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Ex-Mann von Maria L. zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften. Die Ermittlungen gegen den Schwager laufen. Den ganzen Prozess lang hat ihr Ex-Mann geschwiegen. Gegen das Urteil ist er in Berufung gegangen. Nun rollt das Landgericht den Fall noch einmal auf. “Anscheinend fehlt ihm jedes Unschuldsbewusstsein”, sagt Maria L. Vor Gericht haben Polizisten ausgesagt, er und sein Bruder hätten von Anfang an versucht, die Sache herunterzuspielen. Ein paar Knipsereien im Urlaub, auf denen die Kinder zufällig nackt sind. Das Gericht sah es jedenfalls anders. Zu explizit sind die Aufnahmen. Eine Frage, die sich wohl jede Mutter stellt: Hätte man es merken können? “Im Nachhinein fällt einem manches auf, bei dem man denkt, man hätte es vielleicht merken können”, sagt Maria L. Etwa, dass eine ihrer Töchter plötzlich nicht mehr zum Onkel wollte. Aber deutliche Anzeichen habe es nicht gegeben. Wer denkt so etwas schon von dem Mann, mit dem man einmal verheiratet war. Und als sei die seelische Last, der Papierkrieg als Nebenklägerin und Zeugin in solch einem Prozess nicht schon genug, kam der Antrag aufs alleinige Sorgerecht hinzu. Das hat sie schließlich vom Familiengericht zugesprochen bekommen. Die Kinder wurden vom Vater, der wegen der Berufung noch auf freiem Fuß ist, komplett getrennt. Nun hat Maria L. Angst, dass ihr Ex-Mann das Besuchsrecht für die Töchter noch einklagen könnte. Aber hier werde sie kämpfen. Vor den Kindern hat sie die ganze Sache versucht, so weit es geht zu verbergen. Für die Mädchen, die zu jung waren, um zu verstehen, was geschehen ist, sei der Papa momentan “im Urlaub” oder müsse “viel arbeiten”. Arbeiten kann Maria L. selbst zur Zeit nicht. Seit dem Zusammenbruch ist sie krank geschrieben und befindet sich in psychologischer Behandlung. Schlimm sei gewesen, dass viele, die auch ihren Ex-Mann kennen, ihr nicht geglaubt hätten. Da kann doch nichts dran sein. Sie solle sich nicht so haben. Sie solle das nicht so “hochjubeln”. “Jetzt weiß ich, wer es gut und ehrlich mit mir meint und wer nicht”, sagt sie. Der nächste Schritt sei nun, für sich und die Kinder den Namen abzulegen. Sie will nicht mehr den Nachnamen ihres Ex-Mannes tragen müssen. Auch ihre Töchter machen eine Therapie gegen die seelische Störung, die der Missbrauch hinterlassen hat. “Leonie hat begonnen, wieder einzunässen”, sagt Maria L. Zudem wollte ihre Tochter plötzlich kein Mädchen mehr sein, keine Kleider mehr anziehen. Die schönen langen Haare wollte Leonie damals nicht mehr tragen. Sie wollte eine Frisur wie ein Junge. Eltern, die einen ähnlichen Verdacht haben, rät die 41-Jährige, genauer hinzuschauen. Wenn die Kinder plötzlich anhänglicher werden oder ihr Wesen verändern. “Man kann fragen: Magst du mir was erzählen? Warum willst du denn nicht mehr zum Onkel.” Es gehe nicht um Pauschalverdacht sondern nur darum, aufmerksam zu sein. Den Mädchen gehe es zunehmend besser. “So langsam können sie wieder herzhaft lachen.” Die Psychologen gehen spielerisch an die Therapie der Kinder heran, erzählt Maria L. “Erst war Leonie ein Igel, der sich zusammenzieht, um sich zu schützen. Aber jetzt ist sie ein Adler, der seine Krallen ausfährt.” Fälle wie den oben beschriebenen gebe es in ihrem Bereich etwa ein bis zwei Mal im Jahr, sagt Elke Yassin-Radowsky. Sie leitet den Opferschutzverein Weißer Ring Erlangen-Höchstadt. Meistens passiere der Missbrauch von Kindern in der eigenen Familie. Oft sei der Täter der Lebensgefährte, der Vater, Onkel oder Großvater. Dies sei für die betroffenen Mütter oder Omas ganz schwer. Meist werde von den Tätern Druck auf das Kind ausgeübt: “Wenn du etwas sagst, passiert etwas ganz Schlimmes.” Es sei schwierig, von Kindern die Wahrheit zu erfahren, ohne diesen gleichzeitig etwas einzureden, was vielleicht gar nicht ist. “Der Verdacht muss begründet sein. Sonst sprengt man die ganze Familie in die Luft”, sagt Yassin-Radowsky. Sie rät, bevor man zur Polizei oder gar zu einem Kinderpsychologen geht, mit dem Weißen Ring Kontakt aufzunehmen. Dieser verfügt über Kontakte zu den richtigen Ansprechpartnern bei der Polizei. Sollte sich der Verdacht bewahrheiten, unterstützt der Weiße Ring auch bei der Suche nach Anwälten, Sachverständigen oder Therapeuten. “Wir begleiten überall hin.” Hilfe für Betroffene Weißer Ring Der Opferschutzverein ist erreichbar unter 09195-7999 oder per Mail an Radowsky@t-online.de. Notruf Erlangen Die Beratung für vergewaltigte Mädchen und Frauen mit Sitz in Erlangen erreicht man unter 09131-209720 oder unter notruferlangen@t-online.de. Wildwasser Die Fachberatungsstelle gegen sexuellen Missbrauch mit Sitz in Nürnberg erreicht man unter der Nummer 0911-331330. Artikel von: Christian Bauriedel Veröffentlicht von: Fränkischer Tag Artikel kommentieren zur Startseite
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