Anzeige Ein verurteilter Sexualstraftäter zieht zu einer Familie in ein Dorf bei Freiburg, obwohl ihm der Kontakt zu Kindern gerichtlich verboten war. Das Jugendamt wird gewarnt, nimmt den Jungen in Obhut, doch das zuständige Amtsgericht ordnet an, dass das Kind wieder zu seiner Mutter und ihrem pädophilen Lebensgefährten muss. Worauf die 47-Jährige den Jungen sechs Monate lang zusammen mit ihrem Lebensgefährten gegen Geld im Internet Pädophilen anbot. Das Entsetzen war deutschlandweit groß. Ein Fall, der nicht nur ins Mark geht – sondern auch die Frage aufwirft: Kann so etwas auch in Bayern passieren? Wie gefährlich sind Sexualstraftäter, die ihre Strafen abgesessen haben? Können sie in Familien leben? Sind Kinder und Frauen vor ihnen sicher? Lesen Sie auch Erste Anklage erhoben Kind zum Missbrauch angeboten – Partner der Mutter hatte Kontaktverbot In den USA gibt es seit Langem eine Datei, in der jeder nachlesen kann, ob in der Nachbarschaft ein gefährlicher Sexualstraftäter wohnt. Dort sind 750.000 solche Täter registriert. Polen führte kürzlich eine öffentlich im Internet zugängliche Datenbank ein. In Deutschland ist das kein Thema. Selbst Opferschützer wie Günther Perrottoni vom Weißen Ring in Regensburg lehnen diese Praxis ab. „Das würde nur zu Selbstjustiz führen“, sagt er. Anzeige Dennoch gibt es auch in Deutschland solche Datenbanken. Doch anders als in den USA und Polen sind sie nur für Polizei und Staatsanwaltschaften einsehbar. Bayern war auf dem Gebiet der Erfassung gefährlicher Sexualstraftäter auf freiem Fuß Vorreiter: Bereits 2007 wurde die „Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter“, kurz HEADS, eingerichtet. Dort sind in Bayern all jene Täter gespeichert, die wegen einer Sexualstraftat oder wegen Tötungsdelikten mit sexueller Komponente verurteilt wurden. Sie müssen ihre Haftstrafe verbüßt haben und von der Staatsanwaltschaft als weiterhin gefährlich eingestuft werden. In Bayern leben 320 Personen mit hohem Rückfallpotenzial Die Polizeipräsidien gehen sehr unterschiedlich mit Informationen über potenzielle Sexualstraftäter in ihrem Zuständigkeitsbereich um. Das Präsidium Niederbayern beispielsweise teilt auf Anfrage mit, dass 78 freigelassene Sexualstraftäter in Niederbayern leben. Darunter vier Passauer, sechs Straubinger und drei Landshuter. Das Polizeipräsidium Oberpfalz mit Sitz in Regensburg teilt lediglich mit, dass es 88 HEADS-Probanden im Regierungsbezirk gibt. Wie viele es in Regensburg sind, wolle man „aus grundsätzlichen Erwägungen heraus“ nicht mitteilen. Zuständig für die Datei ist das Polizeipräsidium München. Derzeit sind 1400 sogenannte Probanden in HEADS gespeichert. „Seit der Konzeption der Datei 2006 ist die Anzahl der Probanden zunächst kontinuierlich gestiegen, seit fünf Jahren bewegt sie sich nunmehr auf konstantem Niveau“, sagt ein Sprecher der Behörde auf Anfrage. Lesen Sie auch Grüner Kommunalpolitiker Wütende Anklage – „Unser Rechtsstaat wird vorgeführt“ Anzeige Eingestuft werden die Täter in vier verschiedenen Stufen des Gefährdungspotenzials, das die Polizei einschätzt: Das Rückfallpotenzial ist demnach niedrig, mittel, hoch oder herausragend. Laut Polizei sind 4,5 Prozent der in der Datei gespeicherten Personen in der höchsten Gefährdungsstufe – das sind exakt 63 Menschen, die in ganz Bayern irgendwo in der Nachbarschaft leben, von denen aber nur die Polizei erfährt. Weitere 18,5 Prozent, also 259 Menschen, haben ein hohes Rückfallpotenzial. Insgesamt leben in Bayern also mehr als 320 hoch- oder sogar herausragend gefährliche Sexualstraftäter. Der Sprecher der Münchner Polizei sagt, Ziel von HEADS „ist die Minimierung des Risikos einer erneuten Begehung von Straftaten von als besonders rückfallgefährdet eingestuften Sexualstraftätern“. Um solche Entwicklungen „frühzeitig zu erkennen, werden umfangreiche polizeiliche Maßnahmen durchgeführt.“ Das kann das regelmäßige „polizeiliche Ansprechen sein, aber auch der enge Austausch mit anderen beteiligten Behörden“. Der Staat müsste oft härter durchgreifen, die Polizei versucht das auch. Vor Gericht bleibt dann aber wenig übrig davon. Günther Perrottoni, Weißer Ring Regensburg Ein Alarmsignal sei, wenn ein Sexualstraftäter eine gerichtlich angeordnete Therapie abbricht. Diese Täter seien „statistisch signifikant höher rückfallgefährdet“, heißt es bei der Polizei. Wobei es schwer sei, die Gefahr richtig einzuschätzen. Eine Studie aus Hessen (PDF) unter Sexualstraftätern in der dort „ZÜRS“ genannten Datei ergab, dass 20 Prozent der Täter versuchten, Gutachter über die Rückfall-Wahrscheinlichkeit zu täuschen. Nur jeder fünfte bereute seine Tat. Anzeige Eine Möglichkeit der Überwachung stellt die Fußfessel dar. Doch nur der geringste Teil der insgesamt 1400 in der Datei gespeicherten Sexualstraftäter in Bayern trägt sie, nicht einmal jeder der 63 herausragend gefährlichen Sexualstraftäter. Ihre Wirksamkeit ist ohnehin umstritten. Lesen Sie auch Bayerns Justizminister Bausback Fußfessel für Stalker „Wir hatten hier in Regensburg gerade erst den Fall, dass ein Fußfesselträger eine Frau überfiel und versuchte, sie zu vergewaltigen“, sagt Opferschützer Perottoni, der selbst 25 Jahre lang Kripo-Beamter war. Er verlangt in erster Linie härtere Strafen für Sexualdelikte. „Der Staat müsste oft härter durchgreifen, die Polizei versucht das auch“, sagt der Opferschützer. „Vor Gericht bleibt dann aber oft wenig übrig davon, da steht oft Aussage gegen Aussage.“ Ob die Datei ihren Zweck erfüllt, wird nicht nur immer dann infrage gestellt, wenn Täter trotzdem wieder rückfällig werden. 2015 etwa verurteilte das Landgericht München einen 30-jährigen Mann, dessen Name in der Datei zwar gespeichert war. Er war vor seiner Freilassung drei Jahre in Haft, weil er Kinderpornos gesammelt hatte. Fünf Jahre lang, so die Auflage des Landgerichts München, durfte er eigentlich keinen Kontakt zu Kindern haben. Doch das hielt ihn nicht davon ab, sich erneut an einem Kind zu vergehen. Er lernte eine Frau kennen, die zwei kleine Kinder hatte. Am sechsjährigen Sohn vergriff sich der Mann. Dass er in der HEADS-Datei der Polizei gespeichert war, war weder dem Jugendamt noch dem leiblichen Vater des Kindes bekannt. Die Bundesländer kooperieren nicht optimal Vor allem, wenn Täter in ein anderes Bundesland ziehen, gibt es immer wieder Probleme. Eine HEADS-Datei gibt es bislang neben Bayern noch in Thüringen, Bremen und Brandenburg. Das könnte sich nun ändern. Im gerade ausgehandelten Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD ist auch der Schutz von Kindern vor Sexualstraftätern ein Thema. So soll die Strafprozessordnung geändert werden, damit DNA-Tests künftig Auskunft über Haar-, Augen- und Hautfarbe der Täter geben können. Und das Bundeskriminalamt soll laut GroKo-Verhandlern „das zentrale Datenhaus“ werden. Auch für Sexualstraftäter – egal, ob aus Bayern oder einem anderen Bundesland.
With Product You Purchase
Subscribe to our mailing list to get the new updates!
Lorem ipsum dolor sit amet, consectetur.
Related Articles
Check Also
Close