KINDERMÖRDERKINDESMISSBRAUCH

Wie sollen Eltern ihre Kinder noch schützen?

3 Minuten Aachen : “Wie sollen Eltern ihre Kinder noch schützen?” AACHEN Tag der Plädoyers: Lebenslange Haft und die Feststellung der Schwere der Schuld fordert Oberstaatsanwalt Albert Balke für die beiden mutmaßlichen Mörder der Eschweiler Geschwisterkinder Tom und Sonja. Teilen Tweeten Weiterleiten Drucken VON UNSEREM MITARBEITER WOLFGANG SCHUMACHER Sie sind außerdem wegen zweifacher Freiheitsberaubung mit Todesfolge, sexueller Nötigung sowie Missbrauch von Kindern angeklagt. Niemand im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Aachen erwartete an diesem Montagmorgen anderes, niemand rüttelte später auch nur mit einem Wort an dem juristisch eminent wichtigen Zusatz der „besonderen Schwere der Schuld”. Denn zu furchtbar waren die Eindrücke der sieben Verhandlungstage davor, die emotionslose Ausführung der zwei Morde so brutal, der mehrfache Missbrauch der neunjährigen Sonja so ekelhaft anzuhören. Die stoischen Schilderungen der Angeklagten Markus Wirtz (28) und Markus Lewendel (34) aus den Prozesstagen hinterließen Spuren. Selbst die Psychiater, vorneweg der exzellente Berliner Professor Hans-Ludwig Kröber, mochten am letzten Donnerstag kaum Erklärungsmuster anbieten, warum das alles geschah und warum das nicht verhindert werden konnte. Der Staatsanwalt versuchte es in Ansätzen, nicht ohne vorher auf die eigene Sprach- und Ratlosigkeit hingewiesen zu haben. Balke: „Wie sollen da Eltern ihre Kinder noch schützen?” Denn es war keine Beziehungstat, kein Affektsturm oder Blutrausch, keine Tat unter Alkohol oder Drogen. Gänzlich emotionslos suchte die „Zweckgemeinschaft” Wirtz/Lewendel bei ihren Fahrten die Opfer, waren rund um Eschweiler auf der „Suche nach Frischfleisch”, wie es in ihrem Sprachgebrauch hieß. man suchte nach Gelegenheiten, „Kinder abzufischen, sexuell zu missbrauchen und dann wegzuschmeißen”, sprach Balke das Grauenvolle leise und brutal aus. Eine davon ergab sich an dem schicksalhaften dem 30.03, als Tom und Sonja nachmittags zum ersten Mal auf der Abraumhalde in Eschweiler spielen gingen. Dort lauerten ihnen Wirtz und Lewendel auf, gaben sich als Polizisten aus, fesselten die Kinder mit Kabelbindern. Sofort schmiss Wirtz sich auf Sonja, wollte sie vergewaltigen – es klappte nicht. Sie wollten weitermachen. Dabei kamen sie schnell zu der Erkenntnis, dass „der Junge dabei nur stören” (Balke) würde. Die Tatbeiträge bewertete der Oberstaatsanwalt für beide gleichgewichtig. Wirtz sei keine Marionette von Lewendel gewesen. Er habe den Jungen qualvoll und ganz alleine getötet. Selbst später im Geständnis habe er, wie der Prozess durch ein DNA-Gutachten ergab, nicht die volle Wahrheit über den Missbrauch von Sonja gesagt gesagt. Der Aachener Verteidiger von Lewendel, Wolfram Strauch, begann die Reihe der Plädoyers zugunsten der Angeklagten. Viel gab es da nicht zu berichten. Strauch referierte „über das höchste Rechtsgut des Rechtsstaates”, das sei der Schutz des Lebens. Für Mord gebe es Lebenslänglich, das stehe fest. Jeder dürfe allerdings darüber nachdenken, ob nicht auch eine lebenslange Strafe nur eine schlichte archaische Rache sei, eine „Todesstrafe in Raten”. Wer möge es schon abschätzen, nährte Strauch der ein kleines Adventslicht der Hoffnung, ob oder was in etwa 15 Jahren an Erkenntnissen medizinischer oder psychiatrischer Natur zur Heilung oder Therapie solcher Täter entwickelt sei. Für die Verurteilten müsse „ein Hoffnungsschimmer” bleiben. Die Ausführungen des Staatsanwaltes, räumte Lewendels Verteidiger unumwunden ein, seien „im Wesentlichen richtig”. Wie stark müsse jemand „in der Seele” verletzt worden sein, wenn er sich zu solchen Taten hinreißen lasse und zuvor in ein Meer von gewaltsamen Fantasien abtauche. Sein Mandant stelle sich heute noch als „tickende Zeitbombe” dar. Seine Schilderung der langsamen, grausamen Tötung von Sonja sei als Selbststilisierung zu einem „Monster der Rechtsgeschichte”, wie Balke es nannte, „völlig missverstanden” worden. „Das war keine Selbstdarstellung für die Medien”, erklärte der Anwalt. Klar sei auch ihm, dass die Kammer nicht anders könne, als die Schwere der Schuld festzustellen. Danach plädierte kurz der zweite Anwalt von Lewendel, Hans Lambert. Der Kölner Wirtz-Verteidiger Frank Seebode stellte unumwunden fest: „Unser Mandant ist ein Mensch, keine Bestie, kein Monster.” Das könnten oder wollten viele nicht verstehen. Anders als stets behauptet, gebe es von den beiden „keinen Tatplan”. Zwischen Wirtz und Lewendel gebe es einen großen Unterschied: Wirtz sei nirgendwo „als tickende Zeitbombe” klassifiziert worden. Gottfried Reims beklagte als weiterer Verteidiger des 28-Jährigen das emotional aufgeheizte Plädoyer der Nebenklage. „Wirtz ist ein Außenseiter, ein Verlierer Zeit seines Lebens”, versuchte Reims Erklärungen als Auslöser für die spätere Spirale der sexuellen und körperlichen Gewalt zu finden. Wirtz habe sich mit grausamen Rachefantasien herumplagen müssen. Weil Sex und Beziehungen mit Gleichaltrigen nicht klappte, habe er sich den täglichen Pornoseiten im Internet zugewandt. Sein Mandant habe Hilfe gebraucht, die ihm einfach nicht zuteil geworden sei. Alle vier Verteidiger verzichteten auf die Beantragung eines Strafmaßes. Das Urteil wird am 9.30 Uhr, im Schwurgerichtssaal gesprochen.

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